Georgien. Während der Sowjetzeit sind in der damaligen Sowjetunion viele eindrucksvolle Bauwerke entstanden. Insbesondere die skurrilen, futuristisch wirkenden Gebäude im Stil der Sowjetischen Moderne und des Brutalismus ziehen die Blicke auf sich. Und wer genau hinschaut, der kann an manchen der Bauwerke sogar großflächige Mosaike oder Reliefs entdecken. Auch in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, entstanden in dieser Zeit einzigartige Ikonen der Sowjetischen Architektur und des Brutalismus. Ein paar davon stelle ich euch im folgenden Artikel vor.
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Wenn ihr euch für Sowjetische Architektur interessiert, dann werdet ihr Tiflis lieben!
Wir haben mit der Expertin Nini Palavandishvili eine geführte Tour durch die Sowjetische Architektur und den Brutalismus von Tiflis gemacht. Dabei ging es bequem per Auto durch das Stadtzentrum sowie in die Außenbezirke von Tiflis. Wenn ihr etwas mehr Zeit habt, dann ist es jedoch auch gut möglich, die Bauwerke mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu besuchen.
Weitere lohnenswerte Tagestouren von Tiflis aus sind der Besuch des Höhlenklosters Wardsia* oder die Besichtigung der legendären Seilbahnen von Tschiatura*.
Zukunftsvisionen von Gestern: Sowjetische Architektur und Brutalismus in Tiflis
Wenn man den Begriff “Sowjetische Architektur” hört, hat man entweder die Monumentalbauten im Zuckerbäckerstil oder die futuristischen Gebäude der Sowjetischen Moderne vor Augen. Beide Baustile sind sehr unterschiedlich. Hier ein kleiner Überblick:
Sowjetischer Realismus (Klassizismus) 1950-55
Zur Zeit Stalins war die Architektur nicht nur eine Frage der Funktionalität und Ästhetik, sondern vielmehr eine Frage der Gesinnung. Denn zum allgemeinen Glück, welches das kommunistische Weltbild versprach, gehörte auch, dass die Menschen in prächtigen Palästen leben. Die Stadtplanung war bestimmten Regeln und Entwicklungsplänen unterworfen und die Architekten planten gemäß strenger Vorgaben. Insbesondere die öffentlichen Gebäude sollten mit ihrer Architektur beeindrucken und galten als Wegweiser in die Zukunft. Der Sowjetische Realismus wird auch oft “Stalinistischer Zuckerbäckerstil” genannt. Denn die oft monumentalen Bauwerke mit ihren üppigen Verzierungen lassen einen schnell an die Dekoration von Geburtstagstorten denken. Der Tod Stalins war auch gleichzeitig das Ende dieses Baustils.
Schöne Beispiele des Zuckerbäckerstils könnt ihr übrigens auch bei einem Spaziergang entlang der Karl-Marx-Allee (ehemals Stalinallee) in Berlin sehen.
Sowjetische Moderne ab 1955 bis 1991 und Brutalismus
Während der Sowjetische Realismus noch als Wegweiser in die Zukunft gesehen werden kann, ist die Sowjetische Moderne in der Zukunft angekommen. Die Bauwerke wirken futuristisch, fallen auf und fallen irgendwie aus dem Konzept.
Die Sowjetische Moderne und der Brutalismus scheinen im Gegensatz zu dem Sowjetischen Realismus auf jegliche Vorgaben zu verzichten. Jedes Bauwerk ist anders und einzigartig. Manchmal ist die Schönheit der Gebäude erst auf den zweiten Blick erkennbar, oft werden sie als hässliches Erbe aus der Sowjetzeit verschmäht. Doch wer genauer hinschaut, wird schnell von der Architektur, die keinerlei Regeln zu folgen scheint, eingenommen. Leider sind viele dieser Bauten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlassen worden, verfielen und wurden abgerissen.
Die Wurzeln der Sowjetischen Moderne legte der französische Architekt Le Corbusier. Besonders eindrucksvoll sind die Bauten, die in der spätsowjetischen Phase von den 1960er und dem Anfang der 1980er-Jahre entstanden sind. Sie werden dem “Sowjetischen Brutalismus” zugeordnet. Dabei steht der Begriff Brutalismus nicht für Brutalität sondern für “béton brut”. Das ist französisch und heißt auf Deutsch “roher Beton”. Dieser Baustil wurde maßgeblich von dem Architekten Le Corbusier geprägt. Kennzeichnende Merkmale sind einfache geometrische Formen, die Betonung der Konstruktion an sich sowie die Verwendung von Sichtbeton.
Bei den Bauwerken im Stil der Sowjetischen Moderne kommen anstelle des Rohbetons auch vielfach Verkleidungsmaterialien, wie beispielsweise Marmor, Sandstein, Muschelkalk oder billigeres Ersatzmaterial zum Einsatz.
Mosaike und Reliefs der Sowjetzeit
Bereits ab den 1930er Jahren wurde die Kunst zur Verbreitung kommunistischer Propaganda genutzt. Es entstanden zahlreiche großflächige Mosaike, die die Fassaden von Gebäuden oder sogar Bushaltestellen schmückten. Abgebildet wurden dabei Szenen aus der Arbeitswelt, Wissenschaft, Technik sowie von der Familie und Sport. In den weiter von Moskau entfernt liegenden Sowjetrepubliken mischten sich zudem nationale und folkloristische Motive darunter.
Die Aufträge für die Mosaike wurden zentral an Mosaik-Werkstätten vergeben. Dadurch kommt es, dass die Künstler, welche die Mosaike erschaffen haben, oft gar nicht bekannt sind. Erst seit den letzten Jahren erfolgt eine systematische Dokumentation der noch vorhandenen Mosaike. Genauso wie viele Bauten der Sowjetischen Architektur und des Brutalismus sind in Tiflis leider auch viele der Kunstwerke bereits verloren, verfallen oder zugebaut.
Lang erprobt und heiß geliebt: meine drei Begleiter auf Fototouren: das leichte Carbon Stativ CT-5C I von Rollei*, das Reinigungsset von Rollei* und mein unverwüstlicher Kamerarucksack, der Flipside von Lowepro*.
Bank of Georgia (ehem. Ministerium für Straßenbau)
Das ehemalige Straßenbauministerium ist eine zeitlos wirkende Erscheinung aus schwebenden, übereinander gestapelten Quadern à la Tetris. Es zählt zu den bedeutendsten Bauwerken der Sowjetischen Architektur in Tiflis und sogar in ganz Georgien. Auch heute ist das gebäude noch ein echter Hingucker.
Die Architekten verfolgten bei der Planung das in Georgien patentierte Konzept der “Raumstadt”. Dabei geht es darum, durch ein Haus auf Stützen weniger Grundfläche zu verbrauchen. Die Natur soll weniger beeinträchtigt werden und lichte Freiräume wie zwischen Baumstamm (den Stützen des Hauses) und Baumkrone (den Gebäuderiegeln) entstehen. Am Ende soll alles dem psychischen Wohl der Bewohner zugute kommen.
Seit 2006 gehört das Bauwerk der Bank of Georgia, die es seit 2010 als ihren Hauptsitz nutzt. Im Jahr 2007 wurde das Gebäude als Nationales Monument unter Denkmalschutz gestellt.
Architekten: Giorgi Tschachawa, Surab Dschalagonia
Fertigstellung: 1975
Adresse: 29a Iuri Gagarini St, Tiflis, Gruzja
Tiflis Skybridge
Die Hochhäuser am Rande von Tiflis waren mit die eindrucksvollsten Bauwerke der Sowjetischen Architektur, die wir besichtigt haben. Diese drei hohen Wohnhäuser wurden an den Hängen in der Nutsubidze Straße gebaut. Alle drei sind über eine Skybridge miteinander verbunden. Ihr erreicht die Brücke, wenn ihr im ersten Block mit dem Fahrstuhl bis in den 14. Stock fahrt. Dafür braucht ihr eine 20 Tetri Münze, die ihr im Fahrstuhl in einen Automaten einwerft. Den Treppenaufgang würde ich euch nicht empfehlen, da er oben meist verschlossen sein soll. Von hier könnt ihr dann über die Brücke durch die Gebäude laufen. Ihr kommt vorbei an einer kleinen Sitzbank und an einem winzigen Geschäft im 14. Stock. Von der Skybridge habt ihr außerdem einen tollen Blick auf die umliegenden Wohnquartiere. Am Ende der Brücke kommt ihr oben am Hang an der Straße heraus.
Architekt: Otar Kalandarishvili, Gizo Potskhishvili
Bauzeit: 1974–1976
Adresse: Shalva Nutsubidze St, Tiflis, Gruzja
Ihr plant einen Roadtrip?
Travel Guide Book – Georgia – Caucasus*
Dieses Buch von OunTravela lädt euch ein, die wildesten Ecken Georgiens zu erkunden. Entlang von 24 Routen werdet ihr selbst zu Entdeckern von malerischen Landschaften, rauhen Bergwelten sowie von Klöstern, Festungen und jahrhundertealten Wehrtürmen. Neben detailierten Beschreibungen der 4×4-Tracks findet ihr in diesem Buch eine Vielzahl weiterführender Informationen über Land und Leute sowie Tipps für eure Planungen. Letztere reichen von Vorschlägen für Stellplätze für die Nacht über Vermieter von expeditionsfertigen 4×4-Fahrzeugen bis hin zu lohnenswerten Fotospots. Zu dem Buch könnt ihr außerdem eine Karte sowie die GPS-Tracks zur Navigation erwerben.
Museum für Archäologie
Das Museum für Archäologie erinnert an einen ägyptischen Tempel. Es thront auf einem Hügel gleich neben dem Saint Nino Monument. Leider wurde das Museum nie geöffnet. Dennoch beherbergt es eine archäologische Sammlung im Inneren und ist daher verschlossen und wird streng bewacht.
Architekten: Sh. Kavlashvili und Sh. Gwantseladze
Fertigstellung: 1988
Adresse: 9, Motsikulta Stsori Nino St
Mosaik bei der Feuerwache Saburtalo
Das riesige Mosaik an der Fassade der Feuerwache stellt einen Feuerwehrmann in den Mittelpunkt. Um ihn herum sind mehrere bekannte Bauwerke von Tiflis zu erkennen. Darunter ist die mittelalterliche Metekhi-Kirche, der Zirkus sowie der Sportpalast und das frühere Iveria Hotel im Stil der Sowjetischen Moderne. Außerdem sind in dem Mosaik Bauwerke mit persischer und byzantinischer Architektur abgebildet. Durch diese Gegenüberstellung soll verdeutlicht werden, dass in Tiflis Ost und West aufeinander treffen.
Künstler: Givi Kervalishvili
Fertigstellung: 1979
Adresse: Gorgasali St 34, hinter der Ortachala Bus Station
Ortachala Central Bus Station
In den Jahren 1964 bis 1973 wurde in Ortachala ein neuer zentraler Busbahnhof erbaut. Dieser wurde für rund 18.500 Fahrgäste pro Tag ausgelegt. Die Station umfasst neben den eigentlichen Bushaltestellen auch Restaurants, Cafés, Geschäfte sowie ein Hotel. Die Fassaden des Bauwerkes sind mit Naturstein verkleidet und in großem Teil auch verglast. Neben dem Treppenaufgang ist an der Fassade das Mosaik „Geschichte des Verkehrs“ von Zurab Tsereteli angebracht.
Architekten: Ramaz Kiknadze, Vladimir Kurtishvili and Shota Kavlashvili
Künstler: Zurab Tsereteli
Fertigstellung: 1973
Adresse: Ortachala Bus Station
Büchertipps für Architektur Fans
Könnt ihr von Sowjetischer Architektur und den Mosaiken auch nicht genug bekommen? Dann schaut euch mal diese drei Bücher* genauer an. Ihr werdet sie lieben.
Technische Bibliothek
Die 1986 fertig gestellte Technische Bibliothek ist ein weiteres Prestigeobjekt der Sowjetmoderne und des Brutalismus in Tiflis. Das Bauwerk ist ein langgestreckter, mit einem dunklen Betonkranz umrandeter Riegel. Die Fenster sind von einer endlos wirkenden Wiederholung von fächerartigen Betonschwertern eingefasst.
Architekt: G. Bichiashvili
Fertigstellung: 1986
Adresse: 47 Merab Kostava St
Wasser- und Sportkomplex Laguna Vere
Der Schwimmkomplex mit drei Schwimmbecken, Rutsche, einer Sporthalle sowie einer Tribüne für 5.500 Zuschauer wurde 1978 fertig gestellt. Hier fanden nicht nur nationale sondern auch internationale Veranstaltungen statt. Doch der Komplex wurde mit der Zeit immer weniger rentabel und schließlich im Jahr 2014 geschlossen. Heute dient die Anlage Autohändlern als Werkstatt und Lager. Leider durften wir nicht auf die Anlage. Von hinten konnten wir uns jedoch auf die Tribüne schleichen und von oben auf das inzwischen zugewachsene Schwimmbecken schauen.
Über dem Eingangsbereich an der Straße ist außerdem ein monumentales Mosaik erhalten. Es ist eines der längsten Mosaike in ganz Georgien.
Architekten und Künstler: Shota Kavlashvili, Guram Abuladze, Ramaz Kiknadze, Koka Ignatov
Fertigstellung : 1978
Adresse: M. Kostava St 34
Mother Georgia
Die zwanzig Meter hohe “Mother Georgia” wurde zur Feier des 1500-jährigen Bestehens von Tiflis errichtet. In der einen Hand hält sie eine Schale Wein, mit der sie Gäste willkommen heißt. Doch in der anderen Hand trägt sie ein Schwert, mit dem sie Feinde abwehrt. Die ursprünglich aus Holz errichtete und später mit Aluminium verkleidete Statue wurde im Jahr 1997 durch einen neue Figur ersetzt.
Bildhauer: Elguja Amashukeli
Fertigstellung: 1958
Adresse: Sololaki St
Radio Computing Centre
Das Radio Computing Centre gehört zu der Radio Fortuna Holding. Früher war es auch unter den Namen Transcaucasia Power Control Centre oder Managing Computing Centre of the United Board of Energy System of Transcaucasia bekannt.
Architekten: S. Kavlashvili, G. Djanebirdze and S. Katsitadze
Fertigstellung: 1973
Weitere Bauwerke
Leider war unsere Zeit in Tiflis sehr begrenzt. Da ich die Stadt aber gleich in mein Herz geschlossen habe, hoffe ich, bald wieder zurück zu kommen. Denn es warten noch viele weitere eindrucksvolle Bauwerke der Sowjetischen Architektur und im Stil des Brutalismus, wie beispielsweise der Campus der Universität Tiflis.
Büchertipps für Georgien
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