Deutschland. Zwischen Ostsee und Bodden liegt der Darß – eine Halbinsel, die wie geschaffen scheint für Naturbeobachtungen. Wenn sich im Herbst das Laub verfärbt und Nebel über die Wiesen zieht, beginnt hier ein Schauspiel, das jedes Jahr aufs Neue fasziniert: die Hirschbrunft. Das Röhren der Rothirsche hallt durch die Dünenwälder und über die weiten Lichtungen, während sich die mächtigen Tiere im Wettstreit um die Hirschkühe messen.
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Ein Herbstmorgen am Darß
Es ist noch kühl, als ich morgens um kurz nach sechs am Strand bin. Über dem Meer kündigt sich schon die Sonne mit knallorangenen Farben an und Möwen und Krähen suchen zwischen angespülten Algen ihr Frühstück. Ich eile an ihnen vorbei. Für mich gibt es erst am ehemaligen Nothafen Darßer Ort Kaffee aus meiner Thermoskanne und ein Brötchen von gestern. Die Hafenanlagen sind hier inzwischen zurückgebaut und der lange Holzsteg soll einer der besten Plätze auf dem Darß sein, um Hirsche zu fotografieren.
Angekommen an der Beobachtungsplattform reihe ich mich mit meinem Kamerastativ zwischen die anderen Frühaufsteher. Der Kaffee muss warten. Zuerst suche ich das Gelände ab. Sind schon Hirsche zu sehen? Hören kann ich nur das Tosen des Meeres, das der kräftige Ostwind direkt in meine Ohren bläst. Nach ein paar Minuten sehe ich durch den Sucher meiner Kamera ein Geweih aus dem Gras luken, dann den Kopf, die Schultern und den Rumpf eines stattlichen Hirsches. Er röhrt, doch ich höre immer noch nur den Wind und die Brandung des Meeres. Was für ein schöner Tagesbeginn. Ich gieße mir Kaffee in den Becher und packe mein Brötchen aus.

Solche Augenblicke machen die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst im September einzigartig. Hier, am Übergang von Wald, Bodden und Ostsee, ist die Hirschbrunft ein direkt erlebbares, wunderschönes Naturereignis. Der Darßwald und die Dünen am Darßer Ort sind eine der wenigen Landschaften in Deutschland, wo man die Tiere in freier Wildbahn so nah erleben kann – nicht versteckt in finsteren Wäldern, sondern direkt an der Küste.

Der ehemalige Nothafen Darßer Ort
Im Jahr 1962 wurde in dem hier gelegenen Strandsee ein Militärhafen gebaut. Vier Jahre nach der Gründung des Nationalparks, wurde der Militärhafen 1994 zum Nothafen Darßer Ort und diente Sportbooten und kleineren Schiffen als Schutz. Doch die vorgelagerte Küste wuchs ständig und das Ausbaggern der Fahrrinne führte zu Konflikten mit dem Schutzgebiet. Schließlich wurden die Hafenanlagen zurückgebaut und seit 2024 der Natur überlassen. Nur der Zufahrtsweg zum Strandsee ist geblieben und führt nun über zu einem leicht erhöhten Holzsteg mit bester Sicht auf die Hirsche am gegenüberliegenden Ufer.

Die Landschaft – Wälder, Dünen, Wasser
Entstehung der Halbinsel
Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist ein junges Stück Erde, entstanden nach dem Ende der Weichseleiszeit vor zirka 12.000 Jahren durch Sedimentablagerungen, Strömungen und Sturmfluten. Wo früher einzelne Inseln lagen, schoben Wind und Wasser Sand zu Landzungen zusammen. Im 14. Jahrhundert wurden wegen Rivalitäten mit Rostock und Stralsund Meeresarme zwischen den Inseln verschlossen, so dass Fischland und Darß zu einer Halbinsel wurden. Beim Ostseesturmhochwasser im Jahr 1872 versandete der Prerower Strom und die Insel Zingst wurde 1874 durch endgültige Zuschüttung des Stroms auch Teil der Halbinsel. Heute ragt der Darß wie ein Haken in die Ostsee hinein und bildet einen rund 45 Kilometer langen Wall zwischen Ostsee und Boddengewässern. Am westlichsten Ende liegt der Darßer Ort, eine Landzunge, die weiterhin Jahr für Jahr von der See geformt wird.
Wer den Darß besucht, erlebt eine Vielfalt, die in Deutschland selten ist. Auf engem Raum wechseln sich Küstenwälder, windgepeitschte Dünen, weite Strände und stille Boddenufer ab. Der Darßwald selbst ist rund 5.800 Hektar groß. Seine Mischung aus alten Kiefern, Buchen und Stieleichen wirkt auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Küstenwald. Doch die geologischen Prozesse prägen ihn: Wanderdünen überlagern den Waldboden und alte Sturmfluten haben Mulden und Senken hinterlassen, in denen sich Moorflächen gebildet haben.
Auf dem Rundwanderweg Darßer Ort
Nach einer Weile lichten sich die Reihen auf dem Beobachtungsstand am Nothafen. Auch die Hirsche sind weitergezogen. Ich packe zusammen und gehe weiter zum Eingang des Rundwanderweges Darßer Ort. Der sechs Kilometer lange Weg führt über Bohlenstege, Strand und Waldwege, durch ein Mosaik aus Wald, Röhricht, Dünen, Ostsee und Strandseen. Drei weitere Aussichtsplattformen laden zur Beobachtung von Hirschen und Vögeln ein. Ich entferne mich vom Meer, die Brandung wird leiser und der Ostwind weht einen tiefen, kehligen Laut an meine Ohren. Die Hirsche röhren.


Leuchtturm Darßer Ort mit dem Natureum
Der Rundwanderweg bringt mich bis zum Darßer Ort mit dem 1848 erbauten Leuchtturm und dem Natureum – einem Informationszentrum des Meeresmuseums Stralsund. Von der Balustrade des Leuchtturms blicke ich weit über die Ostsee, die Bodden und den Weststrand, der als einer der schönsten Strände Europas gilt: wild, unverbaut und mit uralten Kiefern.



Windflüchter am Weststrand
Am zweiten Tag mache ich mich gleich morgens nach der Hirschbeobachtung mit dem Fahrrad auf den Weg zum Weststrand. Der Mittelweg bringt mich zum Fahrradparkplatz hinter den Dünen. Es sind erst zwei Fahrräder hier und auf dem Strand sind so früh am Morgen weit und breit keine Menschen zu sehen. Ich schaue mir die sogenannten Windflüchter auf den Dünen an, hohe Kiefern, deren Kronen vom stetigen Küstenwind einseitig zum Land hin gebogen sind. Nach einem zweiten Frühstück am Strand nehme ich mir die Zeit, um mit meinem mitgebrachten Prisma ein bisschen kreativ zu werden.



Geschichte im Schatten der Bäume und im Wind des Meeres
Schon im Mittelalter nutzten Fischer und Bauern den Darßwald, trieben Vieh hinein und holten Holz für Boote und Häuser. Aus dieser Zeit als Weidewald sind die zahlreichen, zum Teil weit auseinanderstehenden und skurril gewachsenen Weidbuchen übrig geblieben. Besonders von dänischen und französischen Besatzern im frühen 18. und 19. Jahrhundert wurde im Darßwald Raubbau betrieben. So entnahmen die Dänen sämtliche alten Eiben aus dem Wald zur Innenraumvertäfelung der Schlösser Rosenborg und Amalienborg. Die nach den Rodungen zurückgebliebene Heidelandschaft wurde von den preußischen Forstleuten mit schnellwüchsigen Nadelholzarten wieder aufgeforstet.

In der DDR wurde der Darß zu einem Urlaubsgebiet für privilegierte Arbeiter und Parteifunktionäre. Der Ort Prerow war bekannt als “Mallorca des Ostens”. Allein auf dem Zeltplatz am Strand waren zur Saison bis zu 10.000 Gäste. Heute wird der Campingplatz von Ahoi Camp betrieben und soll durch. Die Möglichkeit, hier direkt in den Dünen zu campen, ist etwas ganz Besonderes und basiert auf speziellen Nutzungsrechten und Vereinbarungen, die im Laufe der Zeit mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Stiftung Umwelt und Naturschutz MV getroffen wurden. Die Gäste werden angehalten, auf dem Weg zum Strand oder durchs Camp immer auf den bereits vorhandenen Wegen zu gehen und nicht querfeldein durch die Dünen zu laufen.


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Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft
Seit 1990 gehört die Region zum Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, mit 786 km² der größte Nationalpark an der deutschen Ostseeküste. Herzstück ist der Darßwald und die Westküste, wo keine Deiche die Dynamik der Natur bremsen. Hier dürfen Dünen wandern, Wälder ins Meer stürzen und Strände verschwinden. „Natur Natur sein lassen“ ist das Motto – und genau davon profitieren auch die Hirsche. Der Wald bietet ihnen Deckung, die weiten Boddenwiesen Futter, die Dünen Ruhe.


Ein wichtiges Ziel des Nationalparks ist der Schutz großer Säugetiere wie des Rotwilds, das in den ausgedehnten Wald- und Dünenbereichen ungestört lebt. Doch der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft schützt nicht nur Rotwild. Über 1.300 Pflanzenarten und mehr als 160 Brutvogelarten sind hier dokumentiert. Neben Hirschen leben auch Wildschweine, Füchse, Dachse und in jüngster Zeit wieder Wölfe in der Region. Seeadler kreisen regelmäßig über den Bodden, und an den Stränden rasten Sanderlinge und Austernfischer. Besonders eindrucksvoll ist der jährliche Kranichzug: Bis zu 70.000 Vögel rasten im Herbst zwischen Zingst und Darß.

Fortbewegen lässt es sich am besten zu Fuß oder mit dem Rad. Allerdings muss man die Räder vor dem Rundwanderweg an einem der Fahrradparkplätze abstellen, die sind hier nicht erlaubt. Von Prerow aus fahren Pferdekutschen bis zum Leuchtturm am Darßer Ort und die Darß Bahn bringt Wanderer bis kurz vor den Beginn des Rundwanderweges Darßer Ort in der Nähe des ehemaligen Nothafens.


Invasion der Eichelhäher
Es ist Herbst, die Vögel sammeln sich und ziehen in ihre Wintergebiete. So wundere ich mich nicht, als ich den einen oder anderen größeren Schwarm sehe. Ein Foto, um die Art zu bestimmen, bringt mich dann aber doch zum Staunen: Eichelhäher in großen Trupps. Immer wieder überfliegen sie mich und ich bleibe immer wieder mit offenem Mund stehen. Das hab ich wahrlich noch nie gesehen. Auf der Seite vom Nabu lerne ich schnell, dass diese Invasion der Eichelhäher oftmals mit einem hohen Bruterfolg in den Herkunftsgebieten Skandinaviens und anschließendem Nahrungsmangel verbunden ist. Diese Wanderbewegungen können bis weit nach Mitteleuropa hinein führen. Die meisten Häher wandern im folgenden Jahr wieder in ihre Brutgebiete zurück.
Die Hirsche – Könige des Darßwaldes
Warum leben hier so viele Hirsche? Die Antwort liegt in einer Kombination aus Schutzmaßnahmen, Landschaft und Geschichte. Schon im 19. Jahrhundert war der Darß ein begehrtes Jagdrevier. Großherzöge und später NS-Funktionäre veranstalteten Treibjagden im Wald. In der DDR wurden Teile des Darß zum Staatsjagdgebiet erklärt, wo hochrangige Politiker auf Trophäenjagd gingen. Nach 1990 änderte sich der Umgang: Mit der Gründung des Nationalparks entfiel die traditionelle Jagd in weiten Teilen. Das Rotwild konnte sich stärker vermehren, ohne dass es durch Jagd ausgedünnt wurde. Heute leben mehrere hundert Tiere im Nationalpark, die Bestände gelten als stabil.
Besonders eindrucksvoll ist die Brunftzeit im September und Oktober. Während der Brunft ziehen die Hirsche an die Küste und die Dünen – ein ungewöhnliches Schauspiel, denn sonst verbinden wir die Rufe der Hirsche mit tiefen Wäldern oder abgelegenen Forsten. Die Männchen schlagen mit den Geweihen gegeneinander, scharren mit den Hufen und verströmen ihren typischen Geruch, um Weibchen zu beeindrucken. Das Röhren ist nicht nur Reviermarkierung, sondern auch ein Signal an Rivalen: Wer lauter, länger und tiefer röhrt, demonstriert Kraft.
Wer die Hirschbrunft auf dem Darß erleben will, hat verschiedene Möglichkeiten.
- Auf eigene Faust. Das geht am besten an den ausgewiesenen Beobachtungsplattformen am ehemaligen Nothafen und entlang des Rundwanderwegs Darßer Ort.
- Unter den geführten Touren sind die sogenannten „Hirschkonzerte“ am bekanntesten, angeboten vom Nationalparkamt und lokalen Naturführern.
- Bei Fotografen sind auch Fotoexkursionen und Workshops beliebt, beispielsweise bei der Fotoschule Zingst.






Sagen und Legenden
Wenn ich eine neue Region kennenlernen will, dann recherchiere ich immer besonders gerne nach lokalen Sagen und Legenden. Für den Darß habe ich zwei gefunden, welche die tiefe Verbindung der Küstenbewohner mit ihrer Landschaft besonders schön widerspiegeln.
Eine der bekanntesten Erzählungen spricht von den „Hirschgeistern“, die in stürmischen Nächten am Strand erscheinen sollen. Fischer berichteten, sie hätten große, schattenhafte Gestalten gesehen – Hirsche mit leuchtenden Augen und dampfendem Atem, die aus der Brandung aufgetaucht seien. Diese Geister seien keine Bedrohung, sondern Wächter des Waldes, die den Menschen eine Warnung überbrachten: Wer sich in solchen Nächten leichtsinnig aufs Meer wagte, den erwartete Unheil. Manche alten Seefahrer schworen, sie hätten ihr Leben nur dem Erscheinen eines solchen Geist-Hirsches zu verdanken, denn er habe sie durch ein unerklärliches Gefühl zurück an Land gedrängt.
Andere Legenden ranken sich um die versunkenen Dörfer der Küste. So soll bei schweren Stürmen das Läuten von Glocken aus den Fluten zu hören sein – Glocken, die einst zu Kirchen gehörten, die längst von den Wellen verschluckt wurden. Ein oft erzähltes Beispiel ist das Dorf Vineta, das in der Volksüberlieferung nicht weit von hier untergegangen sein soll. Die Bewohner hätten sich durch Habgier und Übermut den Zorn des Meeres zugezogen. Heute meinen manche Einheimische, dass das Dröhnen der Wellen gegen die Buhnen manchmal tatsächlich wie dumpfes Glockengeläut klingt.

Abendausklang mit Hirschen
Es ist mein letzter Abend auf dem Darß. Es fällt mir schwer, mich zwischen meinen beiden Lieblings-Beobachtungsplattformen zu entscheiden. Die Wahl fällt am Ende auf den Steg am ehemaligen Nothafen. Dort, wo meine Hirschbeobachtungen mit Frühstückskaffee begonnen haben. Ich mummele mich ein und wickle mein Tuch noch ein bisschen dichter um den Hals. Das Stillstehen im Wind hat es in sich und die Hirsche lassen heute etwas auf sich warten. Doch meine Geduld wird am Ende belohnt und das weiche Abendlicht zeigt den Hirsch und seine Damen nochmal von einer besonders schönen Seite.

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