Wer draußen unterwegs ist – egal ob mit Rucksack oder Schneeschuhen, im Fjäll oder im Schwarzwald – hat Verantwortung. Für sich, für andere und für das, was passiert, wenn etwas passiert. Der Gedanke, dass „schon jemand helfen wird“, ist gefährlich. Der folgende Text über Outdoor Erste-Hilfe richtet sich an alle, die abseits der Wege unterwegs sind, an Menschen, die auch dann klar denken und handeln müssen, wenn der Regen seit Stunden waagrecht kommt, wenn der Funk still ist und wenn es plötzlich ernst wird.
Dieser Text, geschrieben von Christoph Maretzek, ist kein gewöhnlicher Outdoor-Erste-Hilfe-Ratgeber. Er ist die kondensierte Erfahrung aus 45 Jahren im Gelände – rau, ehrlich, ungeschönt. Für alle, die rausgehen. Für alle, die heimkommen wollen. Christoph ist der Gründer der Guide Academy Europe, wo ich meine Ausbildung zum Trekking- und Wilderness-Guide gemacht habe. Als langjähriger Gebirgsjägerausbilder, erfahrener Solo- und Wintertrekker, sowie als Zimmermann hat er schlimme Unfälle erlebt und konnte oft genug helfen. Wir waren vergangenen Spätsommer wieder zusammen auf Tour im schwedischen Vindelfjäll und die Themen Gesundheit auf Tour, Wilderness First Aid und Prävention waren wie immer ein wichtiger Teil unserer Vorbereitung. Zu Recht, wie ein Beihnahe-Unfall im Fjell bei Regen und Sturm uns eindrücklich gezeigt hat.
In Kooperation mit und geschrieben von Christoph Maretzek, Guide-Academy-Europe.
Wenn was passiert, musst du was können
Wer auf Tour gehen will, sei es mit dem Rad, Ski oder zu Fuß, mit oder ohne Begleitung, sommers oder winters, im Gebirge, zu Wasser, im Wald: Stets gibt es viel zu bedenken. Doch eine Frage stellt sich immer, für jeden und bei allen Gelegenheiten:
Was ist das Wichtigste draußen?
Die Antwort ist ganz klar: Wie stelle ich sicher, dass ich mir selber und anderen jederzeit, auch bei schwereren Vorkommnissen, sofort und zielführend helfen kann? Besonders wenn ich Zeit überbrücken muss, bis Hilfe kommt… ggf. auch mal Tage.
Zwischen Theorie und Realität: Outdoor-Erste-Hilfe-Kurse
Echte Outdoor-Erste-Hilfe beginnt dort, wo man Stunden oder Tage auf Hilfe warten muss – und wo man selbst handeln können muss.
Die Verunglückungszahlen dieses Jahr stimmen einen nachdenklich. Besonders wer Ausbildung und Workshops anbietet, der ist gefragt, sich an diesen Zahlen zu orientieren und darauf zu reagieren. Denn so viele sogenannte Outdoor-Erste-Hilfe-Kurse spiegeln nicht tatsächlich Outdoor (weiter) abseits der Wege wider, sondern Erste-Hilfe relativ nahe an Wegen und der Rettungskette. Da liegt es auf der Hand, sich jedes Jahr neu auf die aktuellen Realitäten einzustellen und eben für genau DIE Areale auszubilden und zu üben, wo nicht nach einer Stunde jemand helfen kann.
Der Trekking-Guide-Kurs Mitte Juli 2025 und der unter anderem für Arktisreisende im Mai 2025 durchgeführte Wilderness First-Aid-Kurs in Baden-Baden sind wieder mal gut und ohne realen Blaulichtfall abgelaufen. Wir haben einige neue Situationen geübt und haben den Kurs auf die Entwicklungen in Natur und Gesellschaft neu abgestimmt. Denn die sich verändernden natürlichen Umgebungen produzieren neue Gefahren.

Wirklichkeit statt Wunschdenken
In der Realität hilft kein YouTube-Video. Keine Survival-Show. Keine App. Was zählt, ist das, was du im Kopf und im Rucksack hast – und was du unter Stress abrufen kannst.
Zum Einstieg ein einfacher Hinweis: Ein paar Aussagen (aus langjähriger Erfahrung) werden zarte Gemüter oder diejenigen, die glauben, dass Feuerwehr, Forst und die Bergwacht für einen (statt man selbst zuallererst einmal) für das eigene Wohlergehen auf Tour verantwortlich sind, ggf. verstören oder vielleicht ärgern. Weiterlesen daher auf eigene Gefahr…😊.
Die Zeilen sollen schlicht fast ein halbes Jahrhundert für Jedermann und Jederfrau außerhalb der Guide-Ausbildungen und Workshops zur Verfügung stellen. Es liegt letztlich bei jedem selbst, was man draus macht. Und ob man Angebote nutzt oder eben nicht. Und da der Schreiberling auf seinem Lebensweg als langjähriger Gebirgsjägerausbilder/-zugführer und Solotrekker, Winterwanderer in Nordschweden, Alaska-Paddler, Zimmermann auch fast ein paar Mal ins Gras gebissen hätte, genügend Treffer eingesteckt hat, die vermeidbar gewesen wären, und zu viele Tote unterwegs erlebt hat, gibt es hier nun Zeilen statt Verbände.
Fakt ist: Wer rausgeht, steht erst mal alleine für sich gerade! Wer andere mitnimmt zu allererst für diese und für sich. 45 Jahre draußen lehrten den Schreiber, dass es sehr oft (viel zu oft) nichts gibt, was andere für mich tun können, wenn ich die erste Unfall-Stunde (die sog. Golden Hour) nicht selber für mich sorgen kann, wenn ich schwerer verletzt oder erkrankt bin. Dann kommen die Helfer ggf. zu spät zu Hilfe. So einfach ist das.
Selbst Verantwortung übernehmen
Die Bergwacht ist das Sahnehäubchen…nicht der Kuchen! Den hat jeder entweder im Rucksack dabei oder doch zu Hause gelassen. Wald, Wasser und Gebirge sind per se gefährlich und sie bilden oft ein Hindernis in Sachen schneller und sicherer Zugang zum Unfallort. Darüber nicht VOR der Tour nachzudenken, sich nicht vorzubereiten, nicht mal wieder intensiv zu üben und sich nicht mit dem passenden Material auszustatten, das ist wie Fliegen mit unsicher befestigen Tragflächen. Das machen nur Narren oder gegen sich selbst verantwortungslose Menschen.
Oder noch ehrlicher ausgedrückt:
Wer nicht bereit ist, sich passend vorzubereiten, zu lernen und zu üben, auf sich selber durchgehend, stetig und umfassend in jeder Sekunde aufzupassen…was bitte hat der da draußen verloren, wenn er dann billig davon ausgeht, dass schon irgendwer zu ihm kommen wird, wenn er es vergeigt hat? Die Frage mag sich jeder selber beantworten.
Woran erkennt man erfahrene, gute und umsichtige Trekker, Soloskiwanderer, Wassersportler und Bergsteiger/Bergwanderer? Ganz einfach: Daran, dass sie alt geworden sind.

Aufmerksamkeit und Respekt vor der Natur sind auch Erste Hilfe
Neben Können, Wissen, Ausrüstung, Entschlusskraft und Fitness zählen Vorsicht + Weitsicht + Umsicht.
Viele Unfälle sind schlicht vermeidbar, wenn man sich auf das, was man tut, konzentriert, seinem Bauchgefühl lauscht und die Augen und Ohren offen hält. Für alte Soldaten ganz normal, denn das sichert in schwierigen Lagen ggf. das Überleben.
Niemand muss warten, bis es einschlägt, man kann sich ja auch vorher kümmern. Was spricht also dagegen, die Grundhaltung “Ich passe aktiv auf” auch als Zivilist anzunehmen und für sich präventiv zu sorgen? Bei Polizei und Feuerwehr, beim Forstamt, auf dem Bau, an Maschinen ganz normal, da es dort ständig gefährlich zugeht. Nur machen sich leider die wenigsten klar, dass wer rausgeht, da draußen eben auch liegen bleiben kann. Da setzt man den Rucksack meist untrainiert auf, hat kaum Erfahrung, sieht YouTube als Bildungskanal und die ganzen Superhelden der lächerlichen Survivalshows als Realität an. Vielleicht machen diese einfachen ehrlichen Zeilen doch Lust auf mehr (z.B. mal einen realistischen Kurs, eine Ausbildung für sich selber).
Hinzu kommt: Respekt vor den Kräften der Natur, die Anerkenntnis, erst mal für sich selber verantwortlich zu sein und Respekt vor der steten Gefahr draußen: Denn es gibt kein ungefährliches Gebirge, keinen ungefährlichen Wald und kein ungefährliches Kanuwasser. Wer da draußen nicht aufpasst, für den wird aus der steten Gefahr schnell eine (sehr oft vermeidbare!) akute Gefährdung. Jedoch, schon mit einem gewissen Portiönchen Glück, hat man zusammen mit Planung, Können, Material etc. schon mal gute Karten von Haus aus. Hierzu zählt auch, sich unterwegs immer wieder Stellen mit Handyempfang zu merken/zu notieren.
Jedoch müssen Pläne eben auch immer und oft recht flott angepasst werden – dies zu unterlassen ist aufgrund von Zeitdruck im Urlaub, viel zu enger Planungszeitfenster ohne Puffertage und schlicht mangelnder Bereitschaft, sich neu aufzustellen ein häufiger Grund für Probleme auf diversen Touren. Die Gesetze macht am Ende immer die Natur. Der eigene Zustand und das Können müssen dazu passen, was man vorhat, kann und was man besser lässt. Dann kommt man ggf. im nächsten Jahr wieder dorthin und setzt die Tour neu an. So einfach ist das letztlich. Denn: Fehlt nur eines, wird zu lange gezögert, wurde sich nicht vorher gekümmert, dann ist es eben oft an der Kante oder schon drüber. Und es ist immer nur diese eine Sekunde.

Guide-Ausbildung in der Guide-Academy-Europe
Ein Blick hinter die Kulissen
Wer andere ggf. abseits der Wege und Rettungseinrichtungen führen will, muss helfen können. Aus dem Stand, noch mit dem Blick auf den Verletzten, der schon still ist oder sich windend am Boden befindet. In allen Modulen wird anteilig und immer wieder überraschend geübt, ggf. auch beim Frühstück. Denn Unfälle haben weder Schichtbetrieb, noch gibt es Lochkarten, noch melden sie sich an. Von jetzt auf gleich, wenn dann doch mal was beim Kocher daneben geht, kann sich nicht nur ein Gesicht für immer, sondern schlicht ein Leben für die ganze Familie dahinter verändern. Selten, aber immer wieder der Fall. Die spritzende Blutung, weil ein Werkzeug mal wieder „richtig“ getroffen hat, oder der helle Schienbeinknochen, der plötzlich raussteht. Niemand hat eine Garantie und daher muss jeder eben auch können, was dann benötigt wird.
Ein wunderbares Ausbildungswochenende mit dem diesjährigen Trekking Guide-Jahrgang im Juli 2025 hat es gezeigt: schon in einfachen Übungen mit unerwarteten Lagen kommt man schnell ins Stocken. Man ist ja kein Sani und auch kein Arzt. Scheiße, wie war das noch mit Schlangenbissen, verflixt, wie waren die Schockanzeichen gleich noch mal und wie unterscheide ich die Gefahren einer Hitzeerschöpfung von einem Sonnenstich? Und so vieles mehr, was schlagartig Thema ist. Oft ohne jede Vorwarnung.




Übung macht den Helfer
Am Wochenende gab es sehr viel Theorie, mit Blick auf die Details, die auf einem ganzen Tourenleben voller Erfahrung draußen beruhen und in keinem Handbuch stehen. Denn wie Soldaten weit abseits im Gelände auch, so kann der Trekker sich schlagartig in einer fast ausweglosen Situation befinden und muss reagieren. Als alter Solotrekker habe ich auch schon ein paar Mal gedacht: Feierabend.
Mal mit Glück, mal mit noch mehr Glück und mal mit bedingungslos schnellem Reagieren ging es bisher gut. Die 12 Toten und die Schwerverletzten, die ich im Dienst und auf den Touren im Gelände erleben musste, haben mich nachdenklich gemacht. Zweimal konnte ich rechtzeitig helfen. Da draußen geht es oft rau zu und manches muss improvisiert werden. Jedoch gilt: Die grundlegenden Regeln der Hygiene etc. gelten dort genauso wie im Tal beim Doktor. Doch nicht immer hat man den Luxus. Dazu fehlt das professionelle Material. Einen Teil dessen kann man durch Übung in Teilen wettmachen. Aber nicht alles. Umso wichtiger sind die Übungen!
Übungen – begonnen haben wir mit Verbänden wickeln. Das klingt banal, doch die Übungen (auch blind, hinter dem Rücken an sich selber, im Dunklen, mit der schwachen Hand) haben gezeigt, dass gerade dieses so wichtige Wissen zur sauberen Wundversorgung, um Infektionen bis zur Sepsis bzw. das Verbluten zu vermeiden, alles, aber nicht banal ist! Verbluten ist nach schweren Unfällen immer noch eine der Haupttodesursachen. Dagegen können wir was machen, ebenso gegen die auch immer noch zu 10.000 den tödlichen Fälle der Sepsis als Folge einer infizierten, ggf. sehr kleinen Wunde. Aber wir müssen es wissen und immer wieder üben. So wie Sanis auch. Denn wir sind ja unser eigener Sani.


Und unter der folgenden Übungsannahme ist es alles anderes: Wir sind mit der Gruppe oder alleine, bei kalt-nass-windigem Wetter, ohne Telefonverbindung irgendwo in den schwedischen Bergen, mindestens sechs Stunden zu Fuß von der nächsten Hütte entfernt. Zwar auf einem gut frequentierten Weitwanderweg, doch durch die Bedingungen regelrecht auf der Rückseite des Mondes! Eine ganz normale Situation bei jeder Wanderung dort. Hier kommt niemand mal eben schnell zur Hilfe. Ganz einfach. Eine starke Blutung, ein vereiterter Zahn, ein offener Bruch, schon eine (leider gar nicht seltene) Infektion/Sepsis durch einen einfachen, „banalen“ Mückenstich oder einen Hundebiss, weil sich ein Wanderer mit Hund nicht an die Regeln der Leine hält. Es gibt so vieles, was passieren kann. Und so erstaunlich es klingen mag: Weit über 95% aller Outdooraktivitäten gehen gut, kommt es jedoch zum Unfall, ist es schlimm, ggf. tödlich.

Ab 2026 wird die Erste-Hilfe-Ausbildung bei der Guide Academy Europe (GAE) kompakter und bleibt in sehr kleinen Gruppen. Die Kernthemen werden sein: EH Outdoor Solo, EH Outdoor Trekking/Berg, EH Outdoor Wilderness, EH Outdoor kompakt. Auf Anfrage kann es auch Sonderkurse geben. Bis zum Jahresbeginn sind die Kurse in der abschließenden Erarbeitung und finalen Beschreibung.
Ein Beispiel vom Weitwanderweg Kungsleden
Wie viel schlimmer, wenn ich an den Holländer vom letzten Jahr denke, der mit unversorgten, eitrigen, offenen und blutenden Marschblasen zur Erholung, wie er sagte, gerade mal einen Tag Pause machen wollte. Keine Möglichkeit zur Selbstversorgung mangels Material (zu schwer!!) und in einem kleinen Dorf am Ende der Straße vor dem schwedischen Fjäll sitzend. Die nächsten Etappen nach Süden hätten ihn über Tage in bis auf zufällige Wanderbegegnungen menschenleere Gegend und sehr lange Etappen zwischen den Hütten geführt. Stoisch, irgendwie desinteressiert und anscheinend nicht im Bilde, was eine Infektion mit ihm schnell machen kann – ihn töten. Noch nie auf einer solchen Wanderung und hat sich von einer bekannten „Survival-Show“ aus Deutschland anstecken lassen. Ohne weitere Worte.
Da blieb nichts, als sich einzumischen und ihm massiv zuzureden. Er hat sich dann doch noch überzeugen und helfen lassen und ist mit dem Bus zum nächsten Krankenhaus gefahren. Von ihm habe ich dann im späten Herbst eine SMS bekommen, in der er sich bedankte. Der Doc, noch mehr aber die alte Krankenschwester bei der Erstbesichtigung, haben ihm den Kopf auch noch mal zurechtgerückt. Es hat ihm vielleicht das Leben gerettet, sich eingemischt zu haben.


Mehr zum Thema Marschblasen versorgen auf der Seite der Guide-Academy-Europe.
Christenpflicht und Ehrensache. Doch leider nicht für jeden. So viele scheuen sich, zu helfen, und haben Angst, dann verklagt zu werden. Unfug und Bullshit. Ganz einfach. Viele glauben, ein Anruf genüge – weit gefehlt. Zu leisten ist das, was zumutbar ist. Hinzu kommt das geltende Länderrecht. Wer kümmert sich schon vor Abfahrt um die Regeln vor Ort? In Schweden, so die offizielle Zahl 2024, liegt die geleistete Erste Hilfe bei über 65 %! Bei uns im Lande weit drunter; traurig, beschämend und widerlich. Denn Hilfe in Anspruch nehmen tut jeder.
Was auf Tour zählt
Es ist in Nordschweden, oder in Schottland, auf Island etc. nicht so, wie in den Alpen, wo einerseits die Bergwacht spannende Filme über sich selber und ihre Tätigkeit drehen, andererseits die Leute immer häufiger losziehen und so wie dieses Jahr wie die Fliegen von den Bergen fallen. Nicht überall ist Hilfe grundsätzlich oder schnell oder überhaupt verfügbar. Wer sich mit dem Rettungswesen des Landes nicht auskennt, der fliegt komplett blind. Die Zahlen sind erschreckend. Ebenso die Zahlen der hierzulande Ertrunkenen. In allen Bereichen dasselbe – und es hilft kein verschämtes drumherum Reden: kein (ausreichendes) Wissen, zu wenig unter Stress belastbares Können, Übermut, Angeberei, fehlende Erfahrung, keine (ausreichenden) Wetterkenntnisse mit dem Auge, unvorbereitet, schlecht trainiert, falsche oder fehlende Basisausrüstung, Nichtbeherrschung derselben unter Stress, kein Kartenmaterial, keine ausreichende Apotheke dabei, keine ausreichenden Erste-Hilfe-Kenntnisse. Vor allem aber blindes Vertrauen in Apps und „Ich habe ja ein Telefon.“ Als könnte dieses, die tiefe Beinwunde nach dem fehlgegangenen Axthieb verbinden, die ausgekugelte Schulter richten, den offenen Bruch sauber versorgen, oder eines der häufigen internistischen Probleme lösen.

Merke: Wer nur ein Telefon hat, ist selber schuld, wenn es daneben geht. Es lohnt sich allemal sich vorher zu kümmern: um sich, um die Ausrüstung und um die denkbaren Notfälle. Eine unschöne, aber leider allzu häufig (vermeidbar) wahre Aussage. Das hört keiner gerne. Ist aber eben so. Und doch wird ihm geholfen. Und hoffentlich ist dann auch allen klar, wie teuer so eine Rettung werden kann. Es lohnt sich allemal sich VORHER zu kümmern.
So leid es wohl jedem um die Toten und Verstümmelten tut…die Bergretter, die freiwillig ausrücken, mühen sich und müssen allzu oft leider abbrechen, da es nun mal Grundsatz ist, bei einer Hilfeaktion die eigene Person nicht (auch noch) über die Gebühr zu gefährden. Das mit Bildern volle, aber eben leer fotografierte Handy, die akkuleersaugende „Orientierungs-App“ geben dann dem kalten Handyakku von einer Sekunde auf die andere den Rest und dem Verunfallten nimmt es die letzte Chance. Dann wird leider verblutet, erfroren oder nach dem Sturz am Schock gestorben. Leider immer wieder.
Ein gut ausgestattetes Erste-Hilfe-Set (nicht nur zwei alte Wickel und ein Pflaster!), Ausbildung, Übung und vor der Tour ggf. zu Hause Wiederholung hätten dann im Falle eines Unfalls das Zünglein an der Waage sein können. Der Verunfalle hätte wichtige Zeit gewonnen und seine eigene „Golden-Hour“ leicht verlängern, sich am Leben erhalten und Folgeschäden vermeiden können. So aber kommen dann die Bergretter zu oft an den Ort und finden, sofern der Verletzte dort geblieben ist, wo er noch durchgeben konnte, wo er liegt (sofern er sich orientieren konnte), nur noch einen elenden Verendeten vor. Einen, der wusste, dass es zu Ende geht, wenn er Pech hatte. Und den man dann ggf. erst Monate, manchmal Jahre später zufällig findet. Muss das wirklich so sein? Nein. Ganz einfach.

Rückblick auf ein Ausbildungswochenende
Da so ein Wochenende kurz ist, haben wir hier einige grundlegende Teile geübt, die berg-/kältespezifischen Themen werden dann im Herbst beim Bergmodul ausgebildet und beübt. Grundlagen haben wir bereits im 10-tägigen Frühjahrskurs des 2025er Kompaktkurses (mit drei von vier möglichen Teilnehmern) bearbeitet und dann das Training über die Monate mit Unfallmeldungen aus dem Netz, deren Bearbeitung durch Fragenstellungen im Laufen gehalten.
Wissen, Können, Entscheiden – die Übungsthemen im Überblick
Die frühzeitige Situationserkennung wird oft vernachlässigt. Viel zu oft stürzt der erschreckte Helfer zu schnell, ohne kurz innezuhalten, zum Verletzten hin – daher: einmal tief Luft holen, sich kurz umschauen. Wer SO zu einem Unfall kommt, kann schon in der Annäherung genau hinsehen und ggf. für den Verletzten wichtige Zeit gewinnen:
- Sehe ich eine große Blutlache?
- Steht ein Knochen raus?
- Ist ein Gliedmaß auffällig verdreht?
- Sind Unfallbeteiligte (Tiere, Wetter, Bäume, Werkzeuge, Menschen, Geräte, Autos etc.) jedem erkennbar?
- Wie verhält sich die Person?
- Sind schon Helfer am Werk?
- Welche Gefahren muss ich im Auge behalten?
- Gefährde ich mich ggf. selber?
- Was, welche Details sind auf den ersten Blick erkennbar?
- Welcher Eindruck des Geschehens drängt sich mir auf?
Die Lage zu erfassen – dafür bin ich schon aus Eigenschutz selber verantwortlich. Dem Verletzten kann ich ggf. dabei nicht mal helfen, bis ich eine Ausgangssicherheit für alle Helfer geschaffen habe ggf. auch erst bis ich als Guide meine Gruppe abseits sicher positioniert habe. Also nicht blindlings hinrennen und auch nicht zulassen, dass andere blind hinrennen. Es hilft nix, wenn auf einen Schlag dann noch jemand versorgt werden muss…. Und so schlimm es ist: Ggf. muss ich akzeptieren, dass ich die letzten fünf Meter zu dem Verletzten nicht hinkomme und ihm nur zureden kann, während er vor meinen Augen still wimmert, vor echten Schmerzen kreischt, sich weiter gefährdet oder schlicht verblutet. Oder ich ihm nur EH-Material hinwerfen kann. Übel, aber eine mögliche Realität.
Es gilt stets: Ausreichend Eigenschutz vor (zu) schnellem Verletztennutz!


Übungen, die den Unterschied machen
Weitere Themen, die wir in der Ausbildung behandeln sind:
- Grundsätze und Möglichkeiten der aktiven Unfallvermeidung. Ohne Prävention und Kümmern setze ich mich dem Drama selber aus.
- Die Tourenapotheke – ohne sie ist man regelrecht nackig.
- Das kleine Heftchen „Erste Hilfe am Berg“ von dem erfahrenen Expeditionsarzt Walter Treibel mit 50 Jahren Erfahrung ist sein Gewicht in Gold wert!
- Probleme der Behandlung von mehreren Personen – ggf. kommen nicht alle durch.
- Probleme der multiplen Verletzung – „Treat first what kills first“.
- Schienen und Ruhigstellen mit SAM-Splint oder improvisiert – irgendwas geht immer!
- Grundsätze der sicheren Wundversorgung. Eine Sepsis zu vermeiden ist draußen eines der wichtigsten Themen. Einer der Teilnehmer vom Wochenende hatte grade zuvor eine Sepsis nur knapp überlebt! Denn eine Sepsis kann in kurzer Zeit ohne schnelle Hilfe töten.
- Wundversorgung über die Tage. Wer noch laufen oder auf Hilfe warten muss, muss sich auch um eine Wunde ordentlich kümmern.
- Versorgung von im Körper steckenden Gegenständen – Grundsätze und Besonderheiten weit abseits der Wege und Hilfestationen.
- Heben und Aufheben mit mehreren Personen.
- Arbeit als Team – unausgebildete und untrainierte Helfer meinen es gut. Doch einer muss den Hut aufhaben und ihn sich ggf. eben aus eigenem Entschluss aufsetzen.
- Übungen im Dunkeln. Nachts oder bei schlechter Sicht, draußen dem Wetter ausgesetzt, ist es noch mal schwieriger.
- Umgang mit Tierbissen – der Klimawandel zwingt dazu, sich einen Kopf zu machen und nicht mehr einfach in jeden Busch zu treten oder zu greifen.
- Unterkühlung – ungestoppt tötet sie.
- Warm halten – Verletzte brauchen ihre Wärme.
- Aus dem Wind und aus der Nässe bringen – beide sind ggf. echte Killer.
- Abbindungen und Stauungen – anders als im Straßenverkehr ist es weit abseits der Wege schnell mal möglich, zum letzten Mittel greifen zu müssen. Denn was an Blut draußen ist, ist weg und verloren. Ab einem Liter wird es lebensgefährlich – spätestens.
- Schockbehandlung – sich verschlimmernde Schocks töten.
- Das Dreieckstuch – ein alter Bekannter und treuer Helfer für Tourengeher.
- Verbrühung und Verbrennung – das ist oft das Worst-Case-Szenario.
- Muskuläre Verletzungen – eine bequem gewordene oder schlicht untrainierte Gesellschaft ist dafür recht anfällig. Noch dazu im immer höher werdenden Alter der Bergwanderer etc.
- Zahnprobleme – die Römer sagten: Der Zahnschmerz ist der kleine Bruder des Todes. Sich selber einen Zahn ziehen zu müssen ist nicht witzig (eigener Erfahrungswert 2009).
- Umgang mit Stress und Sorgen – wer helfen will, hat Stress, wenn er nicht trainiert ist.
- Führung der Gruppe. Es geht stets um Sprache, Auftritt, Vorgehen.
- Umgang mit Schaulustigen – ohne hinterher vor einem Richter zu landen.
- EH Solo – Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
- Grenzen der Rucksackmöglichkeiten – Wo enden unsere Möglichkeiten?
- Alarmierung – wichtige Infos flüssig und zielführend bereitstellen.
- Grundsätze der Entscheidungsfindung – welche Parameter beeinflussen mich?
- Betreuung – Was kann ich tun, was braucht der Verunfallte?
Denkzettel 1: Geschichte aus der Waldhütte
Spannend…und ganz einfach aus dem Leben:
Es ist der 22.07.2025, 10.25 Uhr, als ich an einem stürmischen Regentag auf der kleinen Hütte sitze und schreibe, statt meiner Arbeit fürs Forstamt nachzugehen (Wald aufräumen bei dem Wetter alleine in einem Gelände weit abseits und ohne Netz???? Keinesfalls!). Da gilt es auch für mich: Aufpassen, denn hier kommt heute niemand vorbei, Telefon ist nicht! Der Weg ins Dorf sind je nach Route 5-7 km Waldwege. Die Waldgaststätte oberhalb ist heute geschlossen. Und dann passiert mir vor lauter Konzentration auf das Schreibthema eben Folgendes in real:
Neben dem Stuhl stehen die Schuhe wild im Raum, auf dem Spiritus-Kajütkocher steht die frische Gemüsesuppe. Ich stehe auf, drehe mich nach rechts, schaue nicht runter wie sonst, stolpere über die Schuhe, strecke mich lang und fange mich grade so ab. Dabei streifen meine Arme knapp am Kocher mit der kochenden Brühe vorbei ans Regal. Fünf Zentimeter weiter rechts und ich hätte mir einen Arm und alles abwärts der Hüfte verbrüht! Kochend! Hauptgewinn in der Deppenlotterie! Schlimmer geht es kaum alleine hier draußen. Denn mit einem verbrühten Arm (garantiert 3. Grad) fahre ich kein Auto mehr selber. Und warum? Nur eine Sekunde unaufmerksam, Zeug nicht aus dem Weg geräumt und gegen alle Regeln verstoßen, die ich den Guides-Trainees unbarmherzig reindrücke, bis sie Gewohnheit geworden sind. Mist! Aber eben menschlich.
Daher: Vorsicht, Weitsicht, Umsicht…auch beim Hüttenaufenthalt! Stolperstellen sind ggf. klein. Rumstehende Schuhe im Raum heißen: Selber schuld.
Nimm stets deine gut gefüllte, aufgefrischte und korrekt gefüllte Apotheke mit auf Tour! Und sei es noch so oft gut gegangen. Eines Tages wirst du sie unerwartet, oft von einer Sekunde zur nächsten, brauchen. Für dich oder jemanden anderen. Es reicht der eine Schritt zum Stolpern, der eine Schwächeanfall, der eine tiefe Schnitt, die eine kleine Entzündung. Der eine verpuffte Kocher, der eine abgefallene Ast, der eine Hunde- oder Mäusebiss etc.

Denkzettel 2: Geschichte aus dem Gelände
Schon im nächsten Seitental, wo durch die Topographie Funkwellen keine Ausbreitung finden, da in dem weitläufigen Waldgelände keine Masten gebaut werden durften oder wegen lautstarker Bürgergegenwehr die „hässlichen Masten auf den umliegenden Höhen das schöne Landschaftsbild verschandelt hätten“, wird es mal eng. Da kann man nach einem dummen Sturz beim Joggen am sommerlichen Abend mit gebrochenen Knochen liegen. Weit und breit niemand, denn außer dem wenig umsichtigen Läufer ist bei dem herannahenden Gewitter niemand draußen! Das Rufen wird dem ungewohnten Schreier schnell zum kläglichen Wimmern, 6 km entfernt vom Auto, mitten auf einem Forstweg am Sonntagabend. Kein Forstamtsauto, kein Radler, kein Jäger – sie alle haben sich schlau gemacht und sitzen lieber am warmen Ofen daheim.
Der Verunfalle liegt da, hat nur seine dünne Laufhose in kurz und die noch dünnere Jacke an. Eine Laufweste mit einem Kaugummi und einem kleinen Portiönchen Wasser, ein fast leeres Handy ohne Empfang, also auch kein Notruf. Das Ganze in einem von noch mal hundert Meter höheren, steilen Hängen, dicht bewaldet umgeben, auf einem Hohlweg. Das war es dann ggf. für diesen Menschen. Das Gewitter durchnässt ihn, der Boden kühlt schlagartig aus, die Verletzung – ein offener Schienbeinbruch mit Gewebe- und Gefäßverletzungen blutet aus der Wunde und dem Knochen und so kommt eben eines zum anderen:
- Blutverlust mit Schock, der sich ungebremst tatsächlich als todsicher erweisen wird.
- Ebenso kommt die einsetzende und fortschreitende Unterkühlung (die dann noch die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabsetzt!) voll zur Wirkung.
- Keine Verbandsmittel zur Hand, kein Druckverband, das Abdrücken der eigenen Oberschenkelarterie ist nicht machbar.
Das sieht gar nicht gut aus. Nur ein paar Kilometer von Bad Reichenhall entfernt auf einem breiten Wanderweg. Die Abdrückpunkte auf der Rückseite der Knies, in der Kniekehle, sind dem armen Teufel nicht bekannt. Und wären sie es und er würde trotz der viehischen Schmerzen es schaffen, abzudrücken und die Blutung zu stillen, gar zu stoppen (sehr unwahrscheinlich!), so müsste er sich überlegen, wie er sich mit nichts verbindet. Das T-Shirt ist das Einzige, aber die sich entwickelnde Unterkühlung lähmt den Verstand und so fällt ihm nicht ein, die Laufweste in Streifen zu zerreißen (mit unseren Zähnen lässt sich einiges anstellen!).
Es ist Samstagabend. Für den Sonntag sind schlimme Unwetter angesagt. Der Verunfallte war auf dem besten Wege, schlicht zu verenden. Er hatte ca. im Jahre 2007 im Berchtesgadener Land schlicht Glück, dass er rechtzeitig von einem anderen leichtsinnigen Vogel, der auf dem schnellen Lauf in die Sicherheit seines Autos bei bereits tobendem Gewitter über den Verunfallten stolperte, als Soldat der Gebirgstruppe bestens ausgebildet und sofort am Werke war. Auch hatte er in der Jacke Verbandszeug (das bekannte kleine alte Päckchen der Bundeswehr) und kannte sich aus. Medizinisch ebenso wie auf den Wegen. Er hat sein Auto herangeführt, den Verletzten aufgenommen und ins nächste Krankenhaus gebracht.
Nein…der Schreiberling war es nicht selbst, hätte es aber grundsätzlich auch gewesen sein können. Im Straßenverkehr hätte er wohl alarmiert und geholfen, bis Retter eintreffen. Dort jedoch entschloss sich der Helfer, anders zu reagieren. Mag sein, die Sanis schreien nun „Hilfe, gefährlich“ – ja sicher. Aber da draußen abseits der Rettungskette stellt es sich sehr schnell mal anders dar als unter „Normalbedingungen“.
Fazit: Wer rausgeht, muss was können
Und so kommen wir zum Ende und stellen fest:
- Wer rausgeht, muss was können, haben und tun.
- Wer Hilfe braucht, muss erst mal für sich selber ran.
- Wer was hat, ist besser dran, als jemand der eine Apotheke braucht.
- Nichts tun ist immer verkehrt.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass NUR derjenige, der die im Text benannten Säulen der Ersten-Hilfe-Outdoor absolut kennt und beachtet, wirklich alles tut, was er selbst kann. Dann pachtet er sich noch eine Portion Tourenglück, sucht sich verlässliche Kameraden aus, meldet sich ab, ernährt sich gut, trinkt keinen Alkohol, nimmt keine Drogen und schläft ausreichend. Sofern er dann noch alle vorgenannten Aspekte gründlich berücksichtigt und immer wieder mal innehält, wird er als alter Sack am Ofen sitzen und seinen Enkeln von seinen abenteuerlichen Wanderungen berichten oder eines Tages sein Tourentagebuch schreiben und veröffentlichen können.
Den Titel für mein Tourentagebuch habe ich schon, ohne richtig alt zu sein und auch ohne Enkel zu haben:
„Ein (langes) Leben in Stiefeln“
Und nun euch allen schöne Touren, verlässliche Kameraden und stets gute Heimkehr. Und seid nicht faul Leute, kümmert euch und wisst einfach was zu tun ist, wenn da jemand die Welt plötzlich aus der Horizontalen betrachtet und um die Nase reichlich blass wird.
Happy Trails!

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